Schriftliche Sprachproduktion
Von 2000-2006 war ich in dem DFG-Projekt
"Linguistische Einheiten, Hierarchien und Dynamik in der schriftlichen
Sprachproduktion" zunächst als studentischer, später als
wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt. In den ersten beiden
Förderphasen (jeweils zwei Jahre) konnten die dynamischen Muster der
schriftlichen Sprachproduktion auf der Wortebene
weitgehend aufgeklärt werden. Dabei hat sich das von uns verwendete
chronometrische Verfahren als außerordentlich produktiv erwiesen. Das
wichtigste Ergebnis dieser Untersuchungen besagt, dass die Bereitstellung der
linguistischen Informationen nicht mit dem Beginn der Produktion eines Wortes
abgeschlossen ist. Damit eröffnet sich uns ein erheblich differenzierterer
Zugang zur Wortproduktion als mit gängigen Reaktionszeitmessungen. Aus dieser
Arbeit heraus hat sich eine Reihe von Kooperationen innerhalb und außerhalb
des Schwerpunktes ergeben, die uns ermöglichen, durch Versuchsreihen mit
spezifischen Personengruppen (Gehörlose
und Tiefenagraphiker) und Versuchsreihen in
anderen Sprachen (Englisch) die Reichweite des von uns entwickelten Modells der
schriftlichen Wortproduktion zu überprüfen. Darüber hinaus soll dem
Einfluss verschiedener Morphemtypen nachgegangen
werden.
Neben diesen Arbeiten, die der Validierung und Präzisierung der Ergebnisse
zur Wortproduktion dienen, wurden in der dritten Phase insbesondere die zeitlichen
Muster bei der Produktion syntaktischer Einheiten untersucht
werden. Dabei wurde an ausgewählten Beispielen untersucht, wann bestimmte
syntaktische Informationen bereitgestellt werden und wie dies mit den dynamischen
Mustern der zu schreibenden Wörter korreliert.
Einen wichtigen Teilaspekt stellt die
Schriftliche Sprachproduktion von Gehörlosen dar: Dank der Zusammenarbeit
mit Helen Leuninger, Anette Hohenberger und Daniela Happ von der
Universität Frankfurt konnten wir auch die schriftlichen Sprachproduktion von
Gehörlosen untersuchen. Erste Ergebnisse hierzu wurden auf einer
Schwerpunktstagung auf Schloss Dagstuhl vorgestellt. Grundlage war ein
Experiment zur schriftlichen Benennung von 36 Bildern an dem 17 gehörlose und
27 hörende Schreiber teilnahmen.
In der Folge wurde vier weitere Experimente mit jeweils 20 Gehörlosen
durchgeführt: Ein erweiterter Bildbenennungstest, ein Experiment zur
Pseudowortschreibung, Schreibung nach Gebärden und ein Pseudohomophonversuch
(Perzeption). Letzterer sowie weitere Ergebnisse aus dem ersten Experiment (neu
klassifizierte Fehlerverteilungen) wurden auf der Tagung in Freiburg
vorgestellt.
Auf der 32. Jahrestagung der Gesellschaft für angewandte Linguistik (GAL)
vom 27.09.-29.09.2001 in Passau wurden vor allem Ergebnisse zur
Pseudowortschreibung vorgestellt.
Ein zusammenfassendes Manuskript unter dem Titel "Syllabic structures in
typing: Evidence from hearing-impaired writers" wurde bei der Zeitschrift
"Reading & Writing" eingereicht.
Einfluss
verschiedener Morphemtypen:
In einer breit angelegten Versuchsreihe (78 Vpn)
untersuchen wir a) den Einfluss verschiedener
Morphemtypen und b) das Verhältnis von
relativer und absoluter Wortfrequenz. Die Ergebnisse
dieses Versuchs wurden im Juli 2002 auf der
EARLI-SIG
Writing02 Conference in Stafford, UK unter dem
Thema "Morphemes
in written word production" vorgestellt.
Inzwischen haben sich einige Ergebnisse aus
dem o.g. Versuch in einer zweiten Versuchsreihe
nicht bestätigt. Bitte beachten Sie deshalb
vor allem die neuen
Ergebnisse, die
im Rahmen der AG "Explaining
Productivity" unter
der Leitung von Peter
Bosch auf der DGFS
2003 in München vorgestellt
wurden. Der dort gehaltene Vortrag hatte den
Titel: "Timing
in the written production of German compounds".
Ein weiteres Teilprojekt ist die Erhebung
von Daten zur schriftlichen und mündlichen Sprachproduktion eines
Tiefenagraphikers. Der durch Gerhard Blanken vermittelte Patient HV kann ca.
80% der Bilder, bei deren typographischer Benennung er keine oder nur wenige
Schwierigkeiten hat, nicht mündlich benennen. Bei Schwierigkeiten bei der
schriftlichen Benennung kann er Fehler sehr schnell erkennen (weitgehend intaktes
orthographisches Input-Lexikon), die richtige Schreibung hilft ihm aber kaum bei
der mündlichen Benennung. Bei letzterer treten häufig Ersetzungen des
Silbenkerns auf. der zugehörige Artikel "The role of phonology and
syllabic structure in the time course of typing: Evidence from aphasia"
von Said Sahel, Rüdiger Weingarten, Gerhard Blanken und mir wird vermutlich
in der Zeitschrift "Neurolinguistik" erscheinen.
Um die Lücke zwischen der Forschung zur
Einzelwortproduktion und Untersuchungen zur Textproduktion zu schließen,
führten wir ein Experiment zum Einfluss syntaktischer Einheiten auf
den Zeitverlauf der Satzschreibung durch. Hier sollten die Versuchspersonen nach
einem vorher gelernten Grundmuster die räumlichen Verhältnisse zwischen
einzelnen und/oder mehreren geometrischen Formen beschreiben. Als Ausgangsmessung
diente das Abschreiben der entsprechden Sätze. Wenig überraschend ist,
dass die Produktion der Sätze länger dauert als das schlichte
Abschreiben. Erstaunlich ist dabei jedoch, dass sich der zusätzliche Aufwand
über die gesamte Produktion - sogar einzelne Tastenanschläge - verteilt.
Des weiteren benötigen subordinierte NPs längere Produktionszeiten als
koordinierte NPs. Die Unterschiede zwischen Singular- und Pluralformen waren
weniger ausgeprägt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden 2004 unter dem
Titel "From written
word to written sentence production" veröffentlicht werden.
Ausführliche Zusammenfassungen der Arbeit des Projektes
findet sich in den folgenden
Publikationen:
Weingarten, Nottbusch & Will
(2004). Morphemes,
syllables and graphemes in written word production.
Will et al. (2003).
Linguistische Rahmen und segmentale Informationen bei der Einzelwortschreibung.
Evidenzen aus Zeitstrukturen und Fehlerverteilungen.
Will et al. (submitted). Linguistic units, hierarchies and
dynamics in typing.
Weitere Informationen zum Projekt sind auf der Homepage des
Projektleiters Prof.Dr. Rüdiger Weingarten () zu finden.
|